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Friedrich Schiller
Die Jungfrau von Orleans

Premiere: 16. Oktober 2004. 20 Uhr, Stadthalle/Erwin-Piscator-Haus

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Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -

Dramaturgie -
Regieassistenz -
Soufflage -
Peter Radestock
Andreas Rank (Gast)

Prof. Rolf Rohmer (Gast)
Rachel Altmann
Bernd Kruse
Die Jungfrau von Orleans

Darsteller:
Karl, der Siebente - Thomas Streibig | Königin Isabeau - Christine Reinhardt | Agnes Sorel - Barbara Kramer | Philipp der Gute - David Gerlach | Graf Dunois - Daniel Kuschewski | La Hire - Ronald O. Staples a.G. | Du Chatel - Matthias Steiger | Erzbischof von Reims - Jochen Nötzelmann a. G. | Chatillon - Christian Holdt | Raoul, lothringischer Ritter - Peter Meyer | Talbot - Stefan Gille | Lionel - Peter Meyer | Fastolf - Jürgen Helmut Keuchel | Montgomery - Christian Holdt | 3 Ratsherren - Jürgen Helmut Keuchel, Peter Meyer, Stefan Gille | Englischer Herold - Christian Holdt | Thibaut d`Arc - Peter Radestock | Margot - Barbara Kramer | Louison - Laetitia Samuel | Johanna - Regina Leitner Umbesetzung: ab April 2005 Barbara Schwarz | Etienne - Daniel Kuschewski | Claude Marie - Matthias Steiger | Raimond - Christian Holdt | Bertrand - Ronald O. Staples a.G. | Schwarzer Ritter - Peter Radestock | Statisten - Alexander Fülling, Thomas Heinze, Bernd Kruse, Philipp Lind, Nils Neumann, Tobias Rotter, Frank Wagner

Technische Leitung - Fred Bielefeldt | Beleuchtung - Susann Förster | Requisite - Margarita Belger | Maske - Grit Anders | Inspizienz - Wolfgang Harberg | Ton - Ronald Strauß | Garderobe - Elisabeth Müller | Schneiderei - Eva Nau, Gisela Schmidt, Claudia Siebenborn

Stück:

Nur jungfräuliche Reinheit kann eine Gesellschaft verändern.

Das bedeutet Abkehr von: Karriere – Geld – Macht – Korruption – Neid – Mobbing – Bestechung – Betrug.

Wer heimlich Wein säuft, sollte sonntags nicht Wasser predigen!

Peter Radestock

Der Landmann Thibaut d´Arc will seine Töchter verheiraten. Doch Johanna, die jüngste, weigert sich, da sie den göttlichen Ruf vernommen hat, die Engländer zu vernichten und Karl VII. zur Krönung nach Reims zu führen. Verbunden mit dem göttlichen Auftrag ist aber ein Liebesverbot für Johanna, und so weist sie alle Werber ab, bis sie im Kampf auf den englischen Feldherrn Lionel trifft, den sie nicht zu töten vermag.

Die Krönung des Königs wird zu ihrem Sühnegang: Als der Monarch die Retterin des Landes in den Rang einer Heiligen erheben will, klagt ihr Vater sie eines Bündnisses mit dem Teufel an. Johanna wird verbannt und verstoßen...

Mit diesem Stück, das nicht die historischen Fakten, sondern den Konflikt zwischen dem Ideal der religiösen Idee und der unreinen Wirklichkeit in den Mittelpunkt stellt, eröffnen wir unseren „Schiller-Spielplan“.
Pressestimmen:

Oberhessische Presse

Marburg. Mit der „Jungfrau von Orleans“ läutete das Hessische Landestheater seine „Schiller-Spiele“ ein. Premiere war am Samstag in der Stadthalle. von Uwe Badouin Zeitgenossen hofften nach dem Triumph von Friedrich Schillers Sturm-und-Drang-Drama „Die Räuber“ auf einen „teutschen Shakespeare“. Doch Schiller ist kein Shakespeare. Ist Shakespeare ein Vergnügen, so ist zumindest der Schiller der Weimarer Klassik intellektuelle Analyse: Ihm geht es in erster Linie um die Idee. Dies gilt insbesondere für die heute seltener aufgeführte romantische Tragödie „Johanna von Orleans“ (1801), die Peter Radestock mit - für Marburger Verhältnisse - immensem Aufwand auf die Bühne gebracht hat. Die Premiere am Samstag vor rund 450 Zuschauern in der Stadthalle wurde mit viel Applaus und am Ende auch mit rhythmischem Klatschen bedacht. Schillers „Johanna von Orleans“ ist durchdrungen von der Vorstellung eines Ideals, das sich trotz Widrigkeiten über die Realität hinwegsetzt. So ist Johanna weniger eine Figur von Fleisch und Blut mit Stärken und Schwächen. Sie ist vielmehr eine idealtypische Kunstfigur: Als solche spielt sie Regina Leitner in der schwierigen Titelrolle. Zierlich und zerbrechlich wirkt sie auf der riesigen Bühne, beirren lässt sie sich jedoch nicht. Nur einmal zeigt sie eine menschliche Regung, als sie den Engländer Lionel (Peter Meyer) aus Liebe verschont. Doch Liebe, Trauer oder Mitleid schaden nur ihrem göttlichen Auftrag. Radestock, der auch als Johannas Vater und als schwarzer Ritter zu sehen ist, präsentiert eine sehr strenge Inszenierung in einem eindrucksvollen Bühnenbild. Ausstatter Andreas Rank hat die Bühne in einen monströsen Beton-Bunker verwandelt, der Assoziationen an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg weckt. Verstärkt wird der Eindruck noch durch Szenen von Schlachten dieser beiden Weltkriege, die als Video über die grauen Wände flimmern. Radestock erinnert damit an eine Zeit, in der „enthusiastischer Patriotismus“ Europa verwüstete. Riesige Schiebetüren öffnen oder verschließen den Blick in die Tiefe, in die breite Rampen zu einer Leinwand führen, vor der Kampfszenen wie Scherenschnitte angedeutet sind. In diesem Ambiente agieren die Darsteller fast wie Marionetten - sie sind weniger Handelnde als Getriebene, allen voran die zerbrechliche Johanna, deren göttlicher Wahn das Schlachtenglück im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich zugunsten des französischen Königs Karl VII. (Thomas Streibig) wendet. Die Kleidung ist heutig: Die Darsteller tragen Abendgarderobe mit Anzug, Fliege, Schal; Lack- oder Soldatenmäntel kennzeichnen Krieger und Fürs_ten. Die wenigen Frauen stecken in Abendkleidern, Johanna in einem schlichten dunkelblauen Anzug. Die Aussage ist eindeutig: Der mörderische Wahn, der sich auf Gott, die Nation oder andere austauschbare Ideale beruft, kann jederzeit wieder aufflammen. Radestock sind eindringliche Szenen und Bilder gelungen. Große Auftritte haben neben Rehgina Leitner auch Thomas Streibig, David Gerlach und Christine Reinhardt. Streibig zeigt Karl VII. als kriegsmüden König, der dennoch die Chance ergreift, die Johanna ihm bietet. David Gerlach gibt einen wütenden Burgunderkönig. Großartig ist das von Radestock als Karikatur gezeigte, protokollarisch exakt geregelte Zusammentreffen zwischen ihm und Karl VII. Christine Reinhardt interpretiert Königin Isabeau als wütende Furie. Zu gefallen wissen auch Matthias Steiger, Ronald O. Staples und Daniel Kuschweski als französische Fürsten, Peter Meyer, Stefan Gille und Jürgen Helmut Keuchel als ihre englischen Gegenspieler sowie Barbara Kramer als Geliebte des Königs und Chrsitian Holdt. Sie alle spielen mehrere Rollen. Dass es neben viel Licht auch Schatten in dieser Produktion gibt, ist den akustischen Bedingungen der Stadthalle und den beschränkten Möglichkeiten des Hessischen Landestheaters geschuldet, das auch Statisten in Sprechrollen einsetzen muss. So geht die entscheidende Schlacht zwischen Franzosen und Engländern im Geschrei unter: Die Darsteller hätten sich genauso gut japanische Rezepte zurufen können. Das Ende wiederum zeigt Radestocks Gestaltungswillen. Forderte Schiller noch einen pathetischen Schluss, in dem Johanna als verklärte Heilige dargestellt wird, so hat sie bei Radestock mit ihrem Tod ihre Schuldigkeit getan: Der Mohr kann gehen - man drückt ihr schnell die Augen zu und geht seinen Geschäften nach. Weitere Aufführungen sind am Dienstag und Mittwoch, jeweils 20 Uhr in der Stadthalle.


Gießener Allgemeine Zeitung vom 18.10.2004

Etwas Bemerkenswertes strahlt in den Raum

Hessisches Landestheater Marburg beginnt Schiller-Reihe mit der »Jungfrau von Orleans« im Erwin-Piscator-Haus

Da steht sie, die Jungfrau mit behelmtem Haupt, redet sich die Seele aus dem Leib, schweigt wieder nachdenklich und windet sich alsbald aus dem alten Gewand einer Schäferstochter. Schauspielerin Regina Leitner fordert und schreit, lamentiert und gestikuliert, stößt auf taube und dann auf wache Ohren und überzeugt alle wichtigen Oberhäupter des Landes, dieses Frankreich mit ihr und Gottes Gnaden gegen die Engländer zu verteidigen.

Was Friedrich Schiller um 1800 als romantische Tragödie oder besser dramatische Geschichtsklitterung geschrieben hat, steht am Hessischen Landestheater Marburg in der Regie von Peter Radestock auf handwerklich sicheren Säulen: Ein harmonierendes Ensemble in imposantem Bühnenbild. Und davon allein lebt schon seine Inszenierung der »Jungfrau von Orleans«. Jede Szene steht fest im sprachlichen Rhythmus der Schillerverse. Radestock macht aus der romantischen Tragödie ein solides Stück Sprechtheater. Das farbliche Timbre des Bildes von Andreas Rank ist zwar voll dem Anthrazit gewidmet, aber die räumliche Struktur ist alles andere als grau. Verwinkelt sind die Auftrittsorte, hohe Schiebetüren münden in kleine Brücken, überall tun sich markante Abgründe auf, es gibt keine wirklich gerade Fläche.

Alles Visuelle rankt um die Kurven der Geschichte. Da müssen die Schauspieler nicht viel dran drehen, die Intention ist klar: Radenstock erzählt das Stück als Beispiel für gesellschaftliche Abläufe. Die Kostümierungen sind dabei enthistorisiert, man trägt zeitgenössische Abendgarderobe mit einem gewissen Hang zur Dekadenz.

David Gerlach gibt einen eher anrüchigen als politisch wankelmütigen Herzog Philipp in Anzug und langem Ledermantel, der fast an Fetisch erinnert. Thomas Streibig mimt einen debilen, immer nur halb entschlossenen Karl VII. im Smoking, trägt bei seinem ersten Auftritt Kopfhörer, die er munter herumreicht, damit bloß niemand die Schreckensmeldungen der Wirklichkeit höre. Christine Reinhardt gibt als einzige am Hof ihrer Königin Isabeau etwas wirklich Energisches in die Szenerien. Wandlungsfähigkeit zeigt Peter Meyer in drei Nebenrollen als Raoul, Lionel und mürrischer Ratsherr. Radestock selbst gibt den schwarzen Ritter und den Thibaut d’Arc.

Und zwischen alledem steht Regina Leitner und spielt ihnen doch allen ein klein wenig den Rang ab. Intensiv ist ihr Begehren, Orleans vor der Besatzung zu retten, innig sind die Momente des Schweigens, wenn es gilt nachzudenken, während alle anderen schon wieder reden.

Dann leuchten die Augen dieser kleinen, drahtigen Schauspielerin, dann strahlt etwas Bemerkenswertes in den Zuschauerraum. Bis zu den Momenten, wo sie nur ihre Mission sieht, Frankreich zu retten, und mit den Verlockungen des ganz normalen Glücks konfrontiert wird; da geht ein Ruck durch Regina Leitner, da sieht man ein Bündel voll Überzeugung für ihr Vaterland, als nähme man jetzt gerade wirklich an einem Stück Geschichte teil.

Auch bei Radenstock bleibt jedes männliche Werben um die Schlachtenführerin nur ein kläglicher Versuch von unwürdigen Prinzen. Am Ende steht dann auch hier die Geschichtsklitterung auf der Bühne, die Schiller ja immer so gerne als moralische Anstalt gesehen hätte, und diese tapfere Jungfrau von Orleans fällt in der Schlacht, nicht wie in der Geschichte auf dem Scheiterhaufen.

Alles in allem ein gelungener Auftakt für die Schiller-Reihe, die das Landestheater Marburg in dieser Spielzeit zeigt. Nächste Schiller-Premiere wird im November »Der Parasit« sein.

Rüdiger Oberschür

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