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Molière
TARTUFFE


Premiere: 7. April 2007, Stadthalle (EPH)

Fotos link |

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -
Dramaturgie -

Regieassistenz -
Soufflage -
Inspizienz -
Peter Radestock
Andreas Rank
Annelene Scherbaum

Anja Benndorf
Bernd Kruse
Ito Grabosch
TARTUFFE

Darsteller:

Madame Pernelle, Mutter des Orgon - Christine Reinhardt | Orgon - Jürgen Helmut Keuchel | Elmire, Gattin des Orgon - Regina Leitner | Demis, Sohn des Orgon - Daniel Sempf | Marianne, Tochter des Orgon - Joanna Praml | Valere, Verlobter der Marianne - Ullrich Wittemann | Cleante, Schwager des Orgon - Stefan Piskorz | Tartuffe - Stefan Gille | Dorine, Zofe der Marianne - Juliane Beier | Loyal, Gerichtsvollzieher - Christian Holdt
ab Spielzeit 2007/08: Bastian Michael für Wittemann und Florian Federl für Holdt


Technische Leitung - Fred Bielefeldt | Beleuchtung - Susann Förster | Requisite - Margarita Belger | Maske - Grit Anders | Ton - Ronald Strauß | Garderobe - Elisabeth Müller | Schneiderei - Eva Nau, Gisela Schmidt, Claudia Siebenborn

Stück:

Welche Erfolgschancen hat ein Verstellungskünstler?

Tartuffe spaltet die Lager im Haus des wohlhabenden Pariser Bürgers Orgon, wo er wegen seines vermeintlich mustergültigen religiösen Lebensstils Aufnahme gefunden hat. Orgon und seine Mutter Madame Pernelle glauben an Tartuffes Frömmigkeit und vertrauen ihm restlos, während die übrigen Familienmitglieder ihn für einen scheinheiligen Heuchler halten. Aus Trotz bietet Orgon Herrn Tartuffe die Ehe mit seiner bereits verlobten Tochter Marianne an. In seiner Überheblichkeit bedrängt Tartuffe sogar die Ehefrau des Hausherrn, Elmire, mit Liebeserklärungen. Dabei wird er von Damis, dem Sohn Orgons, belauscht, und es droht ihm die Entlarvung. Orgon aber hält selbst jetzt noch an dem Verstellungskünstler fest, überschreibt ihm seinen gesamten Besitz und weist den eigenen Sohn aus dem Haus. Doch nun zeigt sich der wahre Tartuffe...


Pressestimmen:

Giessener Allgemeine

Scheinheiliger Seelenfänger

Hessisches Landestheater Marburg zeigt Molières Komödie »Tartuffe«

Die Figuren schreiten zu alter geistlicher Chormusik in Mönchsgewändern durch den Raum. Dann ein harter Schnitt. Die Musik wird abrupt von einem Heavy-Metal-Stück abgelöst. Die Gewänder fallen. Festliche Kleidung kommt darunter zum Vorschein, die Gesellschaft gibt sich ganz ihrer Partylaune hin. In Peter Radestocks Inszenierung von Jean Baptiste Molières Komödie »Tartuffe« nimmt der Vorspann gleich einem Motto die Thematik vorweg. Am Samstag war Premiere in der Stadthalle Marburg. Radestock bezieht die Komödie um den scheinheiligen Tartuffe, der sich mit vorgetäuschter Frömmigkeit in Orgons Familie einschleicht und dort für große Unruhe sorgt, dezent auf die Gegenwart. Eine Entsprechung zum Vorspann findet sich im Schluss: Tartuffes betrügerische Absichten fliegen auf, der Kreis um ihn wird immer enger, und zwar auch im wörtlichen Sinne: Plötzlich wird es dunkel; ein kreisförmiger, immer stärker aufs Gesicht fixierter Strahl treibt ihn wie einen Verbrecher in die Enge. Eine nicht lokalisierbare Stimme aus dem Off weckt Assoziationen zum Orwellschen Überwachungsstaat.

Fast die gesamte Breite der Bühne nimmt ein Wohnzimmer mit Sesseln ein. Diagonal führt eine Treppe zur Empore. Die klare Architektur der Szenerie passt zur streng durchdachten, konsequent klaren Darstellerführung. Dass die Mitglieder der gut situierten Bürgersfamilie häufig aneinander vorbeireden, wird schon dadurch deutlich, dass sie häufig in großer Distanz kommunizieren und sich dabei nicht in die Augen blicken. Christine Reinhardt mimt eine eloquente, konservative Großmutter, die den genusssüchtigen, aufs Feiern versessenen Nachwuchs in aller Strenge maßzuregeln versucht. Ebenso autoritär, doch nachgiebiger wirkt Jürgen Helmut Keuchel in schwarzem Anzug mit Aktenkoffer als Vater Orgon. Dem Familienvater ist Tartuffes tiefe Religiosität, die er für echt hält, großes Vorbild. Zu gern möchte er seine Tochter Marianne (Joanna-Maria Praml) mit ihm verheiraten; er ignoriert die Warnungen des Schwagers Cléante (Stefan Piskorz), der Tartuffes scheinheiliges Gehabe hinterfragt, und schenkt auch den Meinungen der anderen Familienmitglieder keine Beachtung. Die Situation eskaliert erst, als es Tartuffe gelingt, Orgons Erbschaft an sich zu reißen, und er versucht, dessen Frau Elmire zu verführen.

Die recht unterschiedlichen Charaktere sind insgesamt stimmig ausgearbeitet: Joanna-Maria Praml gibt ein naives Töchterchen mit Hang zum Hysterischen, das wie gelähmt reagiert, als es von seinem bevorstehendem Schicksal erfährt. In der Rolle von Mariannes Verlobtem Valère reizt Ullrich Wittemann bewusst die Grenzen der Provokation aus. Stefan Piskorz und Daniel Sempf verleihen Schwager Cléante und Sohn Damis betont kritische Züge. Herrlich Juliane Beier als scharfzüngige, spitzfindige Zofe Dorine mit starkem russischen Akzent. Recht verführerisch wirkt Regina Leitner als Elmire. Christian Holdt verkörpert den Gerichtsvollzieher Loyal mit strahlender Miene und bester Laune – geradewegs so, als hätte die Familie im Lotto gewonnen. Wohl am interessantesten ist die von Stefan Gille gespielte Figur des Seelenfängers Tartuffe: Die Person mutet so komplex an, dass man nie genau weiß, ob das, was sie vorgibt zu sein, Kalkül ist oder ob sie sich ihrer Verstellungskünste womöglich selbst nicht vollkommen bewusst ist. Sascha Jouini



Marburger Neue Zeitung

Hessisches Landestheater zeigt federleichte Inszenierung von Molières Komödie "Tartuffe"

Bissiger Humor sorgt für gute Unterhaltung

11.04.2007

Marburg. (mm). Kahle Wände auf zwei Etagen, Ausschnitte für Fenster und Türen und dahinter schwarzes Nichts: Das Bühnenbild kennt man aus "Herr Puntila und sein Knecht Matti". Für die neue Inszenierung von Molières "Tartuffe" ist noch eine lange Treppe mit roten Stufen dazu gekommen. Dieser Tage haben etwa 350 Zuschauer die Premiere des Komödien-Klassikers in der Marburger Stadthalle erlebt.

Die Treppe steht als Sinnbild für das Genre der Komödie. Treppauf, treppab geht es, mal langsam, mal schnell, mal laut stampfend, mal stürzend. Man fragt sich aber, ob das laute Gepoltere wirklich notwendig ist, um das komische der Geschichte zu unterstreichen.

Man darf auch hinterfragen, ob "Tartuffe" wirklich eine Komödie ist, oder doch eher eine komische Tragödie. Schließlich hatte der Autor vor über 300 Jahren im Sinn, der Gesellschaft einen kritischen Spiegel vor Augen zu halten.

Inhaltlich geht es um den religiösen Eiferer Orgon, der auf einen Hochstapler hereinfällt, selbst seine Familie vergisst und völlig den Bezug zur Realität verliert. Erst durch eine List gelingt es Orgons Frau Elmire, den Schurken Tartuffe zu entlarven. Als Orgon seinen Irrtum erkennt, ist es aber schon zu spät. Moralist wird zum OpferDie von grotesker Situationskomik und bissigem Humor geprägte Komödie hat Jürgen Radestock federleicht inszeniert. Die Durchtriebenheit des Scheinmoralisten Tartuffe, hervorragend von Stefan Gille gespielt, trifft klar erkennbar auf die Naivität des Bürgers Orgon (Jürgen Helmut Keuchel), der sich unbedarft abstrakten Idealen verschreibt hat und so zum manipulierbaren Objekt politisch-religiöser Angriffe wird. Zur Farce wird das Ganze dadurch, dass Zofe Marianne sich frech in alles einmischt und dem Rest der Familie wertvolle Ratschläge erteilt, obwohl ihr diese Einmischung vom Rang her nicht zusteht.

Für Juliane Beier ist die Zofe eine Paraderolle, hier konnte sie ihr komödiantisches Talent voll ausspielen.

Für die Szene, in der Zofe Marianne und Tochter Marianne (Joanna Praml) sich über einen Ausweg aus der verfahrenen Situation beraten, erhalten die beiden Schauspielerinnen Szenenapplaus. Schade nur, dass Radestock die Zofe in einem so starken osteuropäischen Akzent sprechen lässt, dass nicht alles zu verstehen ist.

Alles in allem ist die Marburger Inszenierung ein Beispiel für solide Theaterarbeit, die zwei Stunden gute Abendunterhaltung garantiert.



Oberhessische Presse

Brillante Zofe trägt den etwas unentschlossenen „Tartuffe“

Marburg. Mit freundlichem Applaus honorierte das Premierenpublikum am Samstag die Komödie „Tartuffe“ in der Marburger Stadthalle.

von Gabriele Neumann

Der Star des Abends war nicht Tartuffe, sondern die Zofe Dorine. Wie Juliane Beier die vorlaute, aber stets ehrliche Zofe im Hause Orgon verkörperte,– mit leicht osteuropäischem Akzent durchaus an moderne Haushaltshilfen erinnernd, das führte wiederholt zu Szenenapplaus.

Der blieb sonst eher spärlich in der Inszenierung von Peter Radestock vom Hessischen Landestheater Marburg. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass das recycelte Bühnenbild aus „Puntila und sein Knecht Matti“ nicht immer zum Stück passte.

Mancher Auf- und Abgang wirkte gewollt, weil eben so viele offene Türen auf der Bühne stehen. Auch wurde viel die Treppe auf- und abgelaufen, was manchmal eher hektisch als temporeich wirkte.

Zum anderen war die angekündigte Konzentration auf den Konflikt zwischen den Gesellschaftsschichten nicht deutlich genug zu erkennen. Stefan Gille gab den Emporkömmling Tartuffe als Pseudo-Intellektuellen mit nur schwer zu verbergendem Hang zu schönen Frauen:

„Wenn Manneskraft auf Schönheit trifft, ist mit dem Denken Schluss“, gesteht er Orgons Gattin Elmire (Regina Leitner überzeugt mit herrlich hysterischem Gurren auch ohne Worte).

Doch warum Orgon (Jürgen Helmut Keuchel) diesem Mann verfallen sein soll, ihn Bruder nennt, und ihm sowohl die Tochter als auch sein Vermögen vermacht, das erschließt sich nur den Zuschauern, die die literarische Vorlage kennen.

Denn im Gegensatz zur äußerst lebendigen Zofe Dorine bleibt Tartuffe ein wenig blutleer, und changiert stimmlich manchmal ebenso wie Orgons Tochter Marianne (Joanna-Maria Praml) etwas ins Schrille, um Lautstärke zu generieren.

Mit der schwierigen Akustik in der Stadthalle kommen am bes ten Dorine, Orgon und Elmire zurecht. Dagegen hat Christine Reinhardt als Orgons Mutter am Anfang Probleme, bis in die letzte Reihe verstanden zu werden.

Dorine trägt die Komik, aber auch die Handlung in dem wohlhabenden Haus im Paris des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Sie ist es, die die Liebenden Marianne und Valère (Ulrich Wittemann) zusammenhält.

Sie ist es, die ihrem Dienstherrn Orgon offen ins Gesicht sagt, was sie von seinem Männerfreund hält. Und sie ist es auch, die im kessen Sommerkleid und roten Lackschuhen dafür am Schluss den größten Applaus erhält.

Nur in der Anfangsszene erinnern die sonst modernen Kostüme mit schicken durchbrochenen Reifröcken und Perücken an die Entstehungszeit der damals heftig umstrittenen Komödie Jean Baptiste Molières. Im Bühnenbild spiegeln die auch choreographisch klug eingesetzten Sessel, Hocker und Sofas die Zeit Ludwig XIV. wider.

Damals bot Tartuffe so viel sozialen Sprengstoff, dass das Stück über Heuchelei und Bigotterie jahrelang verboten war, bis Molière eine entschärfte Fassung vorlegte.

So richtig zündet dagegen Radestocks Inszenierung nicht, auch wenn es viele komische Szenen gibt, etwa, wenn Mariannes Entsetzen über die Heiratspläne ihres Vaters sich in Schluckauf Bahn bricht. Vielleicht ist die Ambition, ein Brecht-Bühnenbild mit einer Molière-Komödie zu verbinden, sinnbildlich:

Es mangelt an einer klaren Entscheidung – für oder gegen eine moderne Aufführung. Wer einen Klassiker kennen lernen will, ist bei „Tartuffe“ trotzdem richtig, schon allein wegen Juliane Beier.



Marburger Forum

Welche Erfolgschancen hat ein Verstellungskünstler? Die Antwort auf diese Frage weiß jedes Jahrhundert neu und anders zu erteilen.

1664: Premiere des „Tartuffe“ während eines Versailler Hoffestes. Der König ist amüsiert, die konservative Clique um die Königinmutter, Anna von Österreich, empört; der eine vor allem politisch erheitert, da die religiösen Fanatiker vor aller Welt in die Schranken gewiesen wurden, die anderen brüskiert, vor allem deswegen, weil von dem eigenen beklemmenden Gefühl entlarvt.

Gier nach Geld, Macht und skandalöse Exzesse unter dem Deckmäntelchen der Heuchelei – dies vor Augen erröten die „Compagnie du Saint-Sacrement“ und ihre Anhänger nicht nur aus Scham, sie sehen vor allem erst einmal rot und erwirken ein Aufführungsverbot der Komödie. Über Religion spottet man eben nicht. Und heute?

2007: Premiere des „Tartuffe“ im Marburger Landestheater. Das Publikum ist entzückt, und die Kritik bestimmt nicht aufgebracht. Ganz im Gegenteil. Bereits während der Aufführung applaudierte das Publikum, am Ende wurde das Ensemble mit laut-begeistertem Beifall belohnt.

- Auch wenn auf den ersten Blick manches Komödienelement nach 333 Jahren wie aus der Mottenkiste herbeigezaubert erscheint: der überfromme Mann, der vom Hausherrn in der Kirche aufgelesen, im Haus zu Kost, Logis, Ansehen und sogar Erbe kommt, das aus dem Handgelenk geänderte Testament, die Absicht die Tochter gegen ihren Willen zu verheiraten. Bei alldem handelt es sich aber nur um Vordergründiges. Freilich, Molière schrieb den „Tartuffe“ für eine Zeit und Gesellschaft, in denen die Machenschaften der „devots“, ihr Eindringen in den familiären Frieden, ihr politisches Rumfuhrwerken, ihr Profitdenken unerträglich erschienen, doch sind Heuchelei, Verblendung und Naivität, zuletzt aber der Wunsch des Menschen, genau zwischen Schein und Sein unterscheiden zu können, Themen so alt wie die Welt selbst – egal in welchem Kostüm sie auch immer auftreten mögen. Das ist es, was den „Tartuffe“ noch immer zu einem aktuellen Theaterstück macht und auch in Marburg auf die Bühne gebracht hat.

Daß Molière in diesem Sinne also zeitlos ist, das heben Bühnenbild und Kostüm eindeutig hervor: keine historisierenden Kostüme also, lediglich ein matter Anklang in der Anfangsszene, und nicht nur aus finanztechnischen Gründen treibt Tartuffe sein Unwesen genau vor dem Hintergrund, vor dem auch bereits der brechtsche Puntila und sein Knecht agierten. Die Verbindung zu einem der schärfsten Tadler der Gesellschaft trägt zugleich der Ansicht Rechnung, die Molière von den Aufgaben der Komödie hatte, nämlich durch Kritik, gekleidet in das Gewand der Satire, den Menschen zur bessern.

Hier ist es auch nicht notwendig, nach Fremdtext, wie er so oft in ältere Stücke integriert wird, um den Wind der Moderne aufkommen zu lassen, Ausschau zu halten. Allein schon die moderne Sprache, derer sich die Übersetzung von Peter Lotschak befleißigt, macht dies nicht notwendig.

Und so wird das vorwurfsvolle „Papa!“, Mariannes, alias Joanna-Maria Pramls, dem Publikum sicherlich noch lange in der Erinnerung nachhallen, genauso wie die elitär-fatalistischen Seufzerchen Regina Leitners als Madame Orgon oder die von patentem Verstand gesteuerten frechen Kommentare der Kammerzofe Dorine, Juliane Beier, alleine schon um ihres russischen Akzentes Willen vom Publikum beklatscht. Wer möchte nach so einem gelungenen Abend so schnell die theatralischen Vorwürfe Madame Pernelles, die Christine Reinhardt wie Königinmutter höchstpersönlich über die Bühne stolzieren läßt, missen? Oder die schwarze Heuchelei Stefan Gilles alias Tartuffe? Die Naivität Orgons, bollrig und doch agil, verkörpert durch Jürgen Helmut Keuchel?

In gelungener Choreographie, teilweise frech, teilweise puppenhaft, eben an genau den Stellen aufmüpfig, an denen klar gemacht werden soll, daß es sich um eine Gesellschaftssatire handelt und kein Stückchen fröhlichen, aber längst überkommenen Inhalts, agierten die Schauspieler allesamt reibungslos miteinander und schenkten ihren Zuschauern so einen bemerkenswerten Abend – an dem wie in einem gesteigerten Moment Satire und Vergnügen eins miteinander wurden.

Tanja von Werner
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