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John von Düffel nach Thomas Mann
BUDDENBROOKS

Premiere: 20. September 2008, Stadthalle/EPH

Fotos link

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -
Dramaturgie -

Inspizienz -
Regieassistenz -
Soufflage -
David Gerlach
Axel Pfefferkorn a.G.
Jürgen Sachs

Ito Grabosch
Juliane Nowak
Kerstin Reinsberg
BUDDENBROOKS

Darsteller:
Konsul - Jürgen Helmut Keuchel | Konsulin - Christine Reinhardt | Thomas - Bastian Michael | Christian - Thomas M. Held a.G. | Tony - Ulrike Knobloch | Gerda - Regina Leitner | Hanno - Cedric Schäfer/Riko Uphoff | Grünlich - Sascha O. Bauer | Kesselmeyer - Stefan Gille | Permaneder - Sascha O. Bauer | Morten - Florian Federl | Der Leutnant - Florian Federl


Reich sind sie, die Kinder der Kaufmannsfamilie Buddenbrook, aber es lastet auch ein unheimlicher Druck auf ihnen: Die Familie ist die Firma und die Firma ist die Familie. Immer und immer wieder rechnet man das Vermögen durch. Ob es sich um Beerdigung, Verlöbnis, Berufswahl dreht, egal – alles ist diesen Zahlen untergeordnet. So wird jede familiäre Entscheidung zur geschäftlichen Transaktion.
Die lebenslustige Tony heiratet den reichen Geschäftsmann Grünlich, ihr zarter, stets kränkelnder Bruder Christian wird gezwungen, in die Firma einzutreten und Thomas, der Älteste, versucht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, scheitert aber an dieser Aufgabe. Schritt für Schritt zeigen sich die seelischen Beschädigungen der Geschwister.
Mit dem Zerfall des Bürgertums geht der „Verfall einer Familie“ einher. Während das riesige Vermögen schwindet, räumen auch die Kinder der Familie Buddenbrook das Feld für eine härtere Gesellschaft...


Pressestimmen

Marburger Neue Zeitung

Publikum feiert „Buddenbrooks“
Hessisches Landestheater spielt die Fassung von John von Düffel

Mit tosendem Applaus ist die gelungene Premiere der „Buddenbrooks“ von John von Düffel nach dem Roman von Thomas Mann in der Inszenierung des Hessischen Landestheaters Marburg zu Ende gegangen. Das Ensemble hat in der Stadthalle Marburg vor und 500 Zuschauern die über zweieinhalbstündige Bühnenfassung gespielt.

Das Licht geht an: Auf der Bühnenkante sitzt Christian (Thomas M. Held, lässt die Beine baumeln und isst einen Pfirsich). Im Halbdunkel der Bühne sitzt der Rest der Familie an einer großen Tafel: Die Eltern (Jürgen Helmut Keuchel und Christine Reinhardt), Sohn Thomas (Bastian Michael) und Tochter Tony (Ulrike Knobloch). Plötzlich erstarrt Christian in seinen Bewegungen: „Was, wenn ich den Pfirsichkern verschluckte“, stößt er angsterfüllt aus, erweckt die Aufmerksamkeit seiner zu Hilfe eilenden Geschwister und beschließt schließlich, nie wieder einen Pfirsich zu essen.

Schon in er Anfangsszene wird die Rollenverteilung unter den drei Geschwistern deutlich: Christian, der kränkelnde, hypochondrisch veranlagte jüngere Bruder, und seine Geschwister, die sich anfangs noch um ihn sorgen, später aber immer weniger ernst nehmen. Alle drei sind die Kinder einer reichen Kaufmannsfamilie, in der das Geschäft und das Geld die Familienplanung diktiert.

Tony und Thomas haften an dem traditionellen System, in das sie geboren sind, während Christian versucht, auszubrechen. Jeder von ihnen müht sich, mit diesem Druck zu leben. Doch mit dem Niedergang der Firma, der wie das vorherige Ausrichten des Lebens auf das Geld eine enorme Aktualität hat, scheitert auch jedes Familienmitglied und mit ihnen das Weltbild, in dem sie leben.

John von Düffel hat für seine Bühnenfassung der „Buddenbrooks“ die Generation der Kinder herausgegriffen, deren Leben er in einer Zeitspanne von etwa 25 Jahren widerspiegelt. Liegt im ersten Teil der Hauptaugenmerk auf dem Schicksal von Tony, die aus Vernunft den schmierigen Geschäftsmann Grünlich (Sascha Oliver Bauer) heiratet, so spitzt sich im zweiten Teil der Konflikt zwischen Thomas und Christian zu.

Schon früh wird Thomas' (herausragend gespielt von Bastian Michael) Ehrgeiz und Selbstaufgabe für die Firma deutlich: „Ich muss mir Härte zufügen.“ Thomas setzt diesen Entschluss unerbittlich um und endet als verbittertet gebrochener Mann. Sein Bruder Christian ist ein Lebemann, dem das Geld nur so aus den Händen rinnt. Thomas M. Held zeigt zunächst komödiantisches Talent für die zu Beginn komische Figur des Christian, der herumalbert und betrunken die Nächte durchmacht. Mit Inbrunst verkörpert Held aber auch den von Wahnvorstellungen Zerrissenen.

So wie die Brüder immer wichtiger im Familiengefüge werden, so nimmt Tonys Rolle ab: Nach zwei gescheiterten Ehen versteckt sie sich symbolisch im Schrank. Mehrmals lässt Regisseur David Gerlach seine Figuren in dem Schrank verschwinden, aus dem sie sprechen: Diese Idee scheitert jedoch an der Schranktür, durch die nur die Hälfte des Gesprochenen zu hören ist.

Die Ausstattung und Kostümierung von Axel Pfefferkorn versetzt in die Zeit um 1900. Gerlach fügt diesem bürgerlichen Ambiente moderne Elemente hinzu. An der Bühnenkante lässt er die Charaktere ihr Wort direkt ans Publikum richten.

Bis auf den frenetischen Schlussapplaus wagte nur ein einziger Zuschauer, spontanen Szenenapplaus zu geben, so gefesselt verfolgte das Publikum das Geschehen auf der Bühne.



Marburger Express

Im Angesicht eines Geschwister-Trios

David Gerlach bringt Thomas Manns „Buddenbrooks“ erfolgreich in Marburg auf die Bühne.

Gleich dreimal „Buddenbrooks“ in Hessen: am Staatstheater Darmstadt, dem Frankfurter Schauspiel und eben auch am Hessischen Landestheater, wo die Premiere am Samstag in der fast ausverkauften Marburger Stadthalle stattfand. Nicht zuletzt wohl auch, weil Thomas Held, bekannt aus der Comedyserie „Sechserpack“ auf Sat 1, in der Rolle des Christian zu sehen ist.

John von Düffel, zeitgenössischer Romancier, Dramatiker und Dramaturg, hat den Stoff für die Theaterbühne adaptiert. David Gerlach hat das Niedergangsepos einer Lübecker Kaufmannfamilie schlicht, transparent und mit viel Vertrauen auf die wirkungsvoll wechselnden Sprachperspektiven, die von Düffel zu einem Ganzen verwoben hat, inszeniert. Hinten thront breit und fest, im Jugendstilambiente, das Wohnzimmer der Familie: ein großer Schrank, zwei Türen (eine mit verschnörkeltem „B“-Emblem) und in der Mitte der große Esstisch. Durch die Wand schimmern oft die Schatten von Bürolampen und Schreibtischen, als Zeichen für den getriebenen Unterbau dieser Familie, die alle ihre Belange der Ökonomie unterordnet und mit dem Getreidehandel und diversen Nebengeschäften in den Ruin gehen wird.

Gegen die Omnipräsenz des Elternhauses ist ein kleines Quadrat aus Holzplanken (Ausstattung: Axel Pfefferkorn) an der Rampe platziert, wo vor allem Christian, Toni und Thomas ihre inneren Monologe, gesprochen Briefsequenzen, erlebte Rede und kurze Dialoge sprechen. Der eheliche Absturz von Toni mit ihrem „goldgelbem Backenbart“ Grünlich, den Sascha Oliver Bauer treffend als inkompetent lächerliches Ekel verkörpert, findet dann links und rechts des Quadrates, im hochfahrenden Orchestergraben seinen Spielort. Von Düffel hat seine „Buddenbrooks“, das Scheitern, die Kette von Katastrophen in eine gnadenlose Logik um die drei Geschwister gruppiert. 25 Jahre umfasst die Zeitspanne, der Fokus liege „auf diesem Mit- und Gegeneinander, nicht auf dem chronistischen Nacheinander der Generationen“, wie von Düffel erklärt.

David Gerlach hat das verstanden. Der Regisseur lässt seinen Schauspielern Zeit und Raum zum Ausspielen seelischer, beruflicher, familiärer Probleme und Problemchen. Thomas Held, der mit der Angst, sich an einem Pfirsichkern zu verschlucken, Christians Profil eröffnet, ist ein Träumer, der Empfindsame, ein Zweifler, ein Unentschiedener und Orientierungsloser par exzellence. Wie er die Schwere der Cicero- Lektüre moniert oder aus England mit albernen Souvenirs zurückkommt oder seinen Bruder beim Versuch der kaufmännischen Arbeit mit permanentem „Du lieber Gott“ und Cognac-Verlangen zur Weißglut treibt, ist souveräne Schauspielkunst. Hervorragend kontrastiert dagegen Bastian Michael als Thomas. Mit einem Zauberwürfel in der Hand eröffnet er die Szene. Zeichen für den Rechner, den Kalkulator, den aufrechten Protestanten, den Ordentlichen, Fleißigen und so weiter. Dass er an Gerda und der Ehe (Regina Leitern) letztlich scheitert, ist die Schattenseite seines Charakters, die Michael sauber herausstellt. Für ein rundes Wechselbad aus Melancholie und Überschwank, Borniertheit und Verzweiflung, Arroganz und Hilflosigkeit ist Ulrike Knobloch als Toni erfolgreich verantwortlich. Glanzlicht dieser Aufführung ist jedoch ein altes Eisen: Jürgen Helmut Keuchel gibt, an der Seite von Christine Reinhardt, einen Konsul, wie er, man möge diese Floskel verzeihen, im Buche steht. Keuchel ist ein so energischer Buddenbrook, gibt den Hausherrn mit einer Präsenz und Stärke, dass man sein Bühnensterben für den zweiten Teil nur bedauern kann.

Als gnadenloser Bankier Kesselmeyer spielt Stefan Gille, Liebhaber Morten gibt Florian Federl, Dienstmagd Lina Kerstin Reinsberg und Gerdas Sohn Hanno spielt Cedric Schäfer (Doppelbesetzung: Riko Uphoff). Das über knapp drei Stunden hoch konzentrierte Publikum feierte die Aufführung zu Recht ausgiebig. Es ist vom Text bis zur Aufführung ein gelungenes, intensives, wirklich spannendes, ein ansehnliches wie anrührendes Stück Theater, das für sich steht, aber auch durchaus zur wiederholten Mann-Lektüre reizen kann.

Rüdiger Oberschür



Oberhessische Presse

Familienunternehmen im Abwärtssog

Marburg. Mit den „Buddenbrooks“ in der Bühnenfassung John von Düffels ist dem Hessischen Landestheater Marburg ein großer Wurf zum Start in die neue Spielzeit gelungen.

von Carsten Beckmann

Diskret ist der Charme der Bourgeoisie, solange ihr Dasein in geordneten Bahnen verläuft. Vielleicht sogar eine Spur zu diskret beginnt das Spiel im Hause Buddenbrook. So diskret, dass sich im Stadthallenfoyer zur Pause noch der eine oder andere die Frage stellt, warum das Hessische Landestheater John von Düffels dramatische Bearbeitung von Thomas Manns Roman nicht im Schwanhof spielt, sondern im großen Haus. Doch dass schon in der vierten Reihe Premierenbesucher zunächst ihre Hörnerven bis aufs Äußerste strapazieren müssen, liegt daran, das zur erzwungenen Contenance im Lübecker Kaufmanns-Salon auch der verhalten-emotionslose Ton und ein maskenhaft-starres Spiel gehört.

Die Geschichte der Buddenbrooks, wie sie von Düffels Adaption zeigt, ist das, was man heute als Wirtschaftskrimi bezeichnen würde. Dass er mit seinen konventionellen Kaufmannstugenden die Prosperität des Familienunternehmens nicht mehr sicherstellen kann, hat der Konsul (Jürgen Helmut Keuchel) verstanden. Doch weil ihm unternehmerische Visionen fehlen, ist das einzige Geschäftsrisiko, das er einzugehen bereit ist, die Vermählung von Tochter Tony mit dem vermeintlich erfolgreichen Unternehmer Grünlich. Sie wird – um in der Wirtschaftssprache zu bleiben – wie ein unprofitabler Unternehmensteil mit einer Mitgift hübsch gemacht und outgesourct.

Tony und ihre Brüder Thomas und Christian, ihr Verständnis von Geschäft und Familie, ihren Kampf gegen den schleichenden Untergang hat David Gerlach kompromisslos ins Zentrum seiner Inszenierung gerückt. Dass diese Reduzierung funktioniert, ist zunächst der großen Romanvorlage zu verdanken, dann sicherlich dem dramatischen Geniestreich John von Düffels, letztlich jedoch auch einer präzisen Regiearbeit und einer beeindruckenden schauspielerischen Leistung.



Marburger Forum

Die Welt, von der Thomas Mann schrieb, war eine Welt des Niedergangs, des Verlustes, des Verfalls. Er spricht uns Heutige, die wir mit dem zunehmend ruinösen Verfall unserer Umwelt – sei er finanziell, sozial oder kulturell – konfrontiert werden, mehr denn je aus der Seele. Thomas Mann auf die Bühne zu bringen, erscheint somit als ein Gebot der Zeit –, zudem sind Umsetzungen für Film und Bühne mittlerweile „in“. Nicht immer gereicht dies dem dergestalt bearbeiteten Werk zum Wohle, wohl aber oft dem Publikum zur hellen Freude.

Mit solch einem Phänomen sah man sich am Abend des 20. September konfrontiert. Die Zuschauer waren begeistert, tobten regelrecht, stampften mit den Füßen als der Vorhang fiel. Verziehen war die unsägliche Akustik (teilweise verkam die Rede der Akteure zu unverständlichem Nuscheln, teilweise bohrte sich die eingespielte Musik schrill ins Trommelfell), verziehen war auch die Vergewaltigung eines der beeindruckendsten Romanwerke der Moderne.

Warum? Ganz einfach, weil die Schauspieler brillant waren: Ulrike Knobloch als Tony, Bastian Michael als Thomas und vor allem Thomas M. Held als Christian Buddenbrook, der die verzweifelte Morbidität der Figur derartig präsent auf die Bühne brachte, daß sich das Publikum sich beinahe überschlug. Ebenso konnte Sascha O. Bauer in seiner Rolle als schlieriger Bankrotteur und Mitgiftjäger Bendix Grünlich überzeugen, enttäuschte jedoch völlig als Alois Permaneder, dem er prompt keinen Münchner sondern Wiener Akzent verpaßte und dabei noch einen derartig unverständliches Idiom, daß es selbst einem „Muttersprachler“ unmöglich war, ihn zu verstehen.

Desgleichen mag es zwar nett sein, etwas Schwung auf die Bühne zu bringen, aber das Gezerre zwischen dem Konsul (Jürgen Helmut Keuchel), dem Bankier Kesselmeyer (Stefan Gille) und eben Bendix Grünlich um die Rechnungsbücher war nichts anderes als ein unsägliches Gekasper, gleiches gilt für Tony, die sich gelegentlich in einem großen Schrank versteckte oder auf dem Kanapee lümmelte.

Gelungen hingegen der Bühnenaufbau: Im Hintergrund – nur schemenhaft durch transparente Stellwände ersichtlich, aber stets präsent – das Kontor, im Zentrum altdeutsche Bürgerlichkeit mit Schrank, Tisch, Stühlen, im Vordergrund ein Podium, Raum für all das, was nicht in die Welt des Handels und des Bürgertums paßt: Liebe, Zweifel, Verzweiflung, Ablehnung, schließlich zwei weitere Bühneneinheiten, die je nach Bedarf aus dem Orchestergraben auftauchen und auch wieder versanken, so wie Episoden eben das Leben kurzfristig durchziehen, um es zu beleuchten und danach für dessen Umgestaltung verantwortlich zu sein.

Daß die Umsetzung eines knapp 700 Seiten umfassenden Romans eine Herausforderung darstellt, liegt klar auf der Hand. In der Einführung in die Materie gibt John von Düffel jedoch an, daß „nicht die Quantität des verarbeiteten Materials, sondern die Frage, ob es gelingt, zum Kern der Sache vorzudringen, zum Wesentlichen“ entscheidend sei. Damit mag er durchaus recht haben. Tatsache bleibt aber leider auch, daß es nicht jedem gelingt dorthin vorzudringen. Düffel selbst reduziert die „Buddenbrooks“ auf zwei zentrale Begriffe: „Werte“ und „Ökonomie“ – und verfehlt damit die Botschaft Thomas Manns um Meilen, wenn nicht gar Lichtjahre.

Ohne Zweifel handelt der Roman von Werten, Prinzipien und Zwängen, und ohne Zweifel stellt das ökonomische Denken ein Movens der beschriebenen Figuren dar – aber die zentrale Absicht Thomas Manns lag wohl bei gänzlich anderem, nämlich den „Verfall einer Familie“, so der Untertitel des Romans, durch zunehmende Reflexivität aufzuzeigen, Gedankenblässe, die von Generation zu Generation zunimmt: Noch ist Johann Buddenbrook senior heiter, irdisch praktisch, sein Sohn Jean ist schon vom ersten Zeichen von Dekadenz behaftet: Frömmigkeit. Bereits Thomas wird zu einem Ästheten, der die Rolle des Bürgers nur noch spielt, Hanno schließlich, völlig lebensfremd, geht am Ekel an der Welt zugrunde.

Doch das ist nicht das Bild, das von Düffel entwirft. Indem er etliche Charaktere einfach streicht, so Johann Buddenbrook senior, Clara, die jüngste Schwester, oder zu Statisten verkommen läßt wie die hochmusikalische Gerda, die Frau Thomas‘ oder Hanno, seinen Sohn, und vielmehr Tony und Christian als „Seele und Herz des Romans“ bezeichnet, und so seine Entscheidung vor allem sie in den Mittelpunkt seiner Bühnenfassung zu stellen, begründet, schreibt und deutet er das Mannsche Werk einfach um. Damit einher geht konsequenterweise eine drastische Veränderung der Charaktere. So ist von Tonys ewig kindlicher Naivität trotz aller Bemühungen Ulrike Knoblochs nur wenig zu spüren und Thomas zerbricht auch nicht daran, daß er ein Ästhet ist, sondern vielmehr, daß er durch widrige familiäre Umstände einer finanziellen Misere entgegentaumelt. Vieles ist auch nur verständlich, wenn man zuvor den Roman gelesen hat, so die makaberen Umstände unter denen Thomas stirbt, das Entsetzten, daß die Hagenströms schließlich das Haus der Boddenbroocks aufkaufen. Hat man aber den Roman gelesen, so kann man sich keinesfalls mit der Bühnenumsetzung zufrieden geben.

Schade, denn das schauspielerische Können der Akteure wird somit letztendlich von einem nur mittelmäßigen Stück absorbiert.

Tanja v. Werner



Gießener Allgemeinen Zeitung

Niedergang einer reichen Kaufmannsfamilie
Das Hessische Landestheater Marburg zeigt zum Spielzeitauftakt die »Buddenbrooks« nach Thomas Mann

1901 hat Thomas Mann die »Buddenbrooks« veröffentlicht: Die Familiensaga erhielt die Bestnote »Seelengeschichte des deutschen Bürgertums«, und der Autor wurde 1929 dafür mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Eine erste Kinoversion gab es schon zu Stummfilmzeiten, ein TV-Mehrteiler kam dazu und aktuell eine mit Stars besetzte, an Originalorten in Lübeck gedrehte Kinoversion. Seit 2005 leben und leiden die »Buddenbrooks« auch auf deutschen Bühnen; in Hessen sind es allein in dieser Saison die in Darmstadt, Frankfurt und Marburg. John von Düffel, der sich vom Theater- und Filmkritiker zum Dramaturgen und Autor entwickelte, bearbeitete den Roman für das Hamburger Thalia-Theater. Wer Manns weitschweifigen Sprachduktus, seine psychologisch feinnervigen Beschreibungen kennt, kann erahnen, was es bedeutet, die gut 1000 Seiten lange Familiensaga für die Bühne kompatibel zu machen. Und weiß, dass dies nur durch Verkürzung auf das Wesentliche geschehen kann. Diese Verkürzung liegt für Düffel in der Fokussierung auf die dritte Generation, die Geschwister Tom, Toni und Christian, die den Niedergang der reichen Lübecker Kaufmannsfamilie erleben und erleiden müssen. Am Samstag war Premiere beim Hessischen Landestheater Marburg in der Stadthalle. Bastian Michael spielt Thomas/Tom, den Ältesten, der sich redlich bemüht die Familientradition fortzuführen, jedoch am Ende erleben muss, dass andere im Geschäft und in der Politik härter und erfolgreicher agieren als er. Ulrike Knobloch verkörpert die hübsche, lebhafte und ihrem Stand gemäß verwöhnte Antonie/Toni, die in zwei Ehen scheitert, denn beide Männer erweisen sich als berechnend und bringen ihre Mitgift durch. Als Gast dabei ist Thomas M. Held, der von 1999 bis 2001 zum Marburger Ensemble gehörte und seitdem die Fernsehkarriereleiter erklommen hat, was er auch seinem komödiantischen Talent verdankt (»Sechserpack«). In Marburg gibt er den gegen Konventionen rebellierenden Christian, dem er auch amüsierende Momente abringt: als Betrunkener auf Londons Straßen, aber auch bei seinem nicht ganz freiwilligen Eintritt ins Familienunternehmen. Sein Leiden am Leben findet seinen körperlichen Ausdruck. Die ersten Krankheitssymptome wirken noch verzweifelt komisch, doch bedrohen sie bald auch seine Psyche. Am Ende hadert er eindrucksvoll mit dem Tod, weil dieser wieder mal den älteren Bruder bevorzugt habe, indem er diesem ein schnelles Ende schenkte (nach einer Zahnoperation), ihn selbst aber mit permanenten Leiden foppe. Insgesamt ist die Figurenführung des Regisseurs David Gerlach eher statisch, deutbar als Ausdruck von Konventionen und »die Contenance bewahren«. Weder der Konsul (Jürgen Helmut Keuchel) noch die Konsulin (Christine Reinhardt) entwickeln Wärme, Gefühle brechen erst in der Verzweiflung durch. Tonis Ehemänner werden beide von Sascha Oliver Bauer dargestellt, der ihnen skurrile, fast karikaturhafte Züge gibt: dem goldenen Backenbartträger und windigen Zocker Grünlich und dem bajuwarisch-dickbauchigen Permaneder, der sich lieber mit der Mitgift zur Ruhe setzt als zu arbeiten. Protestantische Ethik gegen katholische Gemütlichkeit eben. Nicht alles entwickelt sich in Gesprächen, vieles wird wie im Roman erzählt: Briefe werden geschrieben und vorgelesen, Handlungen von den Betreffenden selbst in der dritten Person geschildert. Mit den eingeschränkten Möglichkeiten der Marburger Stadthallenbühne gehen Regisseur Gerlach und sein Gastausstatter Axel Pfefferkorn kreativ um. Ein übergroßer Kastenschrank steht für die Größe des Wohnhauses, dessen Verkauf den Niedergang der Familie besiegelt, symbolisch durch den Fall der Wände angezeigt. Am Bühnenrand werden Reisen angedeutet, etwa die von Toni ans Meer, wo sie eine zarte erste Liebe erfährt (als schüchterner Morten: Florian Federl). Eine Vorbühne wird mehrmals hochgefahren und zeigt andere Orte an, zunächst die Wohnung des jungen Ehepaars Grünlich, später das Kontor mit den Stehpulten. Eine Szene ist von brennender Aktualität: wenn Grünlich, der sich mit unsauberen Geschäften verspekuliert hat, von seinem Banker (Stefan Gille) mit Rückzahlungsforderungen konfrontiert wird. Bei dieser Premiere fühlte sich wohl jeder an die aktuelle Finanzkrise in den USA erinnert. Hat einst der Grünlich-Bankrott in Hamburg lokale Geschäftspartner mitgerissen, der Buddenbrook-Niedergang in Lübeck vor allem die Familie betroffen, so finden heutige Finanzkrisen auf dem globalen Markt statt. Wann wird wohl die Familiensaga des 20. Jahrhunderts geschrieben, die dann den Werdegang der Lehmann-Brothers zum Thema haben könnte? Die zwei Stunden vierzig Minuten dauernde Inszenierung fordert einiges Sitzvermögen, das Marburger Publikum zollte dem gesamten Team Respekt mit begeistertem Applaus.

Dagmar Klein



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